Gerade gestern kam in meiner facebook-Gruppe für engagierte Teststrickerinnen wieder einmal die Frage auf, ob man nun vorne oder von hinten in eine rechte Masche einstechen muss. Die häufigste Antwort war:" Du musst vorne einstechen, sonst strickst Du ja eine verschränkte Masche!"
Eigentlich stimmt das auch. Aber eben nur eigentlich. Denn auch ich steche erst seit ca. zwei Jahren vorne in meine rechten Maschen. Vorher habe ich jahrzehntelang hinten eingestochen - ohne dabei verschränkte Maschen zu produzieren.
Wie das??? Das Geheimnis liegt nicht in den rechten, sondern in den linken Maschen!
Dem Geheimnis auf der Spur
Schauen wir uns doch zunächst einmal an, wie so eine rechte Masche im Normalfall gestrickt wird:
Man sticht also vorne bzw. von unten nach oben in die Masche, holt dann den Faden und zieht diesen durch die Masche. Dann noch die Masche von der linken auf die rechte Nadel nehmen, und fertig.
Die linken Maschen werden indes so gestrickt:
Man sticht von oben nach unten in die Masche, geht mit der Nadel unter den Faden und zieht diesen durch die Masche. Auch diese Masche schiebt man dann von der linken auf die rechte Nadel und hat eine Masche links gestrickt.
So mache ich es auch. Und so habe ich es auch gelernt. Aaaber: Im zarten Alter von 14 Jahren war ich dann irgendwann der Meinung, dass mir diese Art, linke Maschen zu stricken, zu lange dauerte (im Leben eines Teenagers geht es halt um Millisekunden). Darum habe ich mir fortan angewöhnt, die linken Maschen so zu stricken:
Seht Ihr den Unterschied? Ich ging nach dem Einstechen mit der rechten Nadel nicht UNTER den Faden, sondern legte die Nadel darüber. Im Prinzip arbeitete ich also ähnlich wie beim Häkeln einer Luftmasche. Also: Ich legte die Nadel über den Faden und zog ihn dann durch die Masche.
So weit, so gut. An den linken Maschen ändert sich dadurch nichts. Ganz anders sieht es jedoch bei den rechten Maschen aus:
Statt sich wie im Normalfall nach rechts zu neigen, sodass man bequem vorne einstechen könnte, neigen sich die rechten Maschen jetzt nach links - würde man nun vorne einstechen, wäre die Masche verschränkt. Man hat durch die minimal veränderte Technik des Linksstrickens quasi alles umgedreht. Um den rechten Maschen nun ein normales Aussehen zu verpassen, muss man jetzt hinten statt vorne einstechen.
Die Nachteile
Eigentlich sollte es dann doch egal sein, ob man nun vorne oder hinten in die Masche einsticht, oder?
Nicht ganz. Am Anfang meines Strickerinnen-Daseins hatte meine Methode keine Nachteile gegenüber der herkömmlichen. Weil ich nur glatt rechts gestrickt habe (ja, das einfacherere kraus rechts habe ich tatsächlich erst später angefangen!). Sobald man aber anfängt, sich im Musterstricken zu versuchen, kommt es zu Problemen.
Das fängt eben schon bei kraus rechts an. Hier gibt es ja keine linken Maschen. Das heißt, in der ersten Reihe nach dem Anschlag kann man zwar noch hinten in die Masche einstechen, aber schon in der zweiten Reihe liegen die Maschen dann wieder so, dass man vorne einstechen muss. Weil es eben keine linken Maschen gibt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Stricken in Runden. Bei glatt rechts gestrickten Teilen werden hier keine linken Maschen gestrickt, also neigen sich die Maschen immer nach links und man muss vorne einstechen.
Möchte man dann z. B. auch Lacemuster stricken, wird es ganz kompliziert. Denn Strickschriften sind grundsätzlich auf die herkömmliche Methode des Strickens ausgerichtet. Strickt man dann zwei Maschen zusammen, dann tun sie, was man von ihnen erwartet: Die zweite Masche legt sich über die erste und neigt sich nach rechts. Nicht so bei der "falschen" Methode: Sticht man hinten ein, legt sich die erste Masche über die zweite und neigt sich nach links.
Merkt Ihr was? Bei der falschen Methode passiert das, was bei der richtigen Methode passieren würde, wenn man zwei Maschen rechts überzogen zusammenstricken würde! Man muss also wirklich im Kopf alle Strickschriften umdrehen. Was dort als "2 M rechts zusammenstr" deklariert ist, wird zu "2 M rechts überzogen zusammenstr" und umgekehrt. Wer das nicht bemerkt, wird sich Zeit seines Lebens wundern, warum seine Lacetücher immer irgendwie "komisch" aussehen.
Umlernen macht Sinn
Irgenwann hatte ich das Prinzip dann verstanden und habe Anleitungen im Kopf einfach immer "umgedreht" . Schwierig wurde es dann erst, als in anfing, Schulungen zu geben und Anleitungen zu schreiben. Erstens wollte ich Strickanfängerinnen nicht wirklich etwas Falsches beibringen und zweitens wäre es viel zu kompliziert gewesen, jedesmal die Strickschriften neu zu erklären.
Also habe ich mich eines schönen Tages hingesetzt und - anfangs noch ziemlich verkrampft - geübt, die linken Maschen nach der herkömmlichen Methode zu stricken. Und mittlerweile kann ich es gar nicht mehr anders, ohne dabei zu verkrampfen. Das macht mir mein Leben leichter, weil ich nun genauso denke wie die allermeisten Strickerinnen und somit Problematiken viel schneller erkennen und lösen kann. Und wir reden nicht mehr aneinander vorbei.
Bis bald
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Betina (Montag, 22 Februar 2016 06:46)
ich hatte mir das vor zig zig Jahren genau so angeeignet. Eher aus der Not heraus, weil mein linkes Handgelenk bei einem Unfall zerschmettert wurde und anschließend versteift werden musste. Diese Methode war für mich weniger gelenkbelastend und weitaus schneller. Allerdings muss ich seither auch ständig "umdenken", wenn ich Muster lese oder es anderen beibringen muss. Aber diese Umdenkerei geht irgendwann ins Blut über und wird zum Automatismus. Und das obwohl ich im Bereich Strickdesign tätig bin ;-) Im Endeffekt gibt es kein "richtig" oder "falsch", so wie es z.B. auch die kontinentale Mehtode und die englische etc. gibt. Am Ende zählt das Ergebnis, ob der Weg dahin nun genormt ist oder nicht.
Meli (Dienstag, 01 November 2016 16:11)
AAAAHHHHHH!!!! Ich hab mich immer gewundert warum ich es so anstrengend fand, rechte Maschen "richtig" zu stricken.....ich hab linke Maschen noch nie anders gestrickt. Nur in Runden oder kraus rechts ging es normal...
Danke!
Doro (Sonntag, 08 Januar 2017 14:06)
Huhu,
ich finde die falsche Methode hat auch einen riesen Vorteil beim Muster stricken. Man sieht an den Maschen auf der Nadel, ob sie vorher links oder rechts gestrickt wurden. Ich liebe das, ich kann quasi blind Muster ohne zählen stricken.
Mittlerweile mixe ich die Methoden nach Bedarf, wenn ich ein paar Reihen nach einer Methode links gestrickt habe, merke ich keinen Unterschied mehr, aber glatt rechts bin ich mit der falschen Methode auf beiden Seiten schneller und ganz bedonders links.
Bein Zusammenstricken habe ich schon immer auf die Neigung geachtet, die Bezeichnung war mir letztendlich egal, beim Chart erkennt frau ja sowieso, welche Madche beim zusammenstricksn oben liegen soll. So sah mein Lace auch imer aus, wie es sollte.
Liebe Grüße
Julia (Montag, 13 Februar 2017 20:22)
Oh. Mein. Gott. Dieser Beitrag ist zwar fast 2 Jahre alt, aber hat mir Strickanfängerin gerade das Leben gerettet! Ich hab einfach nicht verstanden, wieso meine ganz normal abgestrickten rechten Maschen immer verdreht herauskamen und habe diese dann halt immer verschränkt gestrickt, was ja okay war, aber mich hat es trotzdem gefuchst, dass es bei mir nicht so funktioniert hat, wie es eigentlich sollte. Dieser Blogeintrag hat mich drauf gebracht: ich habe die linken Maschen genau so gestrickt, wie du es in deinen Bildern gezeigt hast. Hallelujah, das Mysterium ist gelöst! Jetzt stricke ich die linken Maschen "richtig" und dann klappt es auch wieder mit den rechten. Tausend Dank!